Klimakatastrophe abwenden? Vielleicht schafft es die Liebe. Eine Rezension mit Link-Apparat.

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Globaler Klima Notstand. Warum unser demokratisches System an seine Grenzen stößt.

Von Graeme Maxton. Mit Maren Urner und Felix Austen

Bei Komplett Media, München; 191 Seiten, 20 Euro.

Versuch über ein Buch, das Umsturz meint und Umkehr sagt. Wie gehen wir mit der immer akuter werdenden Klimakrise um? Graeme Maxton, von 2014 bis 2018 Generalsekretär des Club of Rome, hat zusammen mit den Wissenschaftsjournalisten Maren Urner und Felix Austen ein Buch geschrieben, das eher ein Flugblatt sein will, welches zur sofortigen Revolution aufruft. Aber die Autoren erliegen dem multiplen Paradoxon unserer Zeit: Alle wissen (oder ahnen) dass es so nicht mehr weiter geht. Doch die Komplexität unserer auf Gedeih und Verderb global vernetzten Lebenswirklichkeit macht jeden Ansatz einer Veränderung zunichte. Also wagt keiner den ersten Schritt.

Lese-Invest bringt Erkenntnis-Rendite.

Aber egal – Buch gewordene Flugblätter sind wichtig. Weil sie in Zeiten von Instant-Öffentlichkeit, Schnell-Prognosen und Fastfood-Stellungnahmen Gutes bewirken. Sie lenken den Blick auf Verhältnisse, wie sie wirklich sind. Sie regen Perspektivwechsel an. Sie bringen Leser dazu, ihre Filterblasen zu verlassen. Und sie helfen bei der Erkenntnis, dass draußen freundliche, liebenswerte Menschen sind, mit denen es Spaß macht, gemeinsam Ziele zu erreichen. 

Rebel without a cause.

Um zu verstehen, wie existenziell der Gegenstand dieses Buches ist, lohnt sich ein Blick in die Filmgeschichte: Wie fühlte sich der von James Dean verkörperte Jim Stark? Beim Autorennen Richtung Abgrund, das der verlor, der zu früh bremste? In „.. denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Rebel without a cause). Übermütig? Verzweifelt? Trotzig? Genau darum geht es den Autoren mit ihrer Publikation. Wie kann es nur sein, dass wir alle so dumm sind, einfach weiter zu machen?

Die Mont Pèlerin Society, ein Think Tank mit Durchschlagskraft.

Auf 191 Seiten legen Maxton & Co. eine „Kritik der tatenlosen Vernunft“ vor. Es ist ein Pamphlet an Individuen, sich doch bitte aus ihrer fremdverschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Als Verursacher der auf Duldung fixierten Geisteshaltung präsentiert Maxton einen neoliberalen Wirtschaftszirkel, die Mont Pèlerin Society (MPS). Sie wurde Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts gegründet, um neoliberale Ideen zu verbreiten. Eindrucksvoll beschrieben und gleichzeitig persifliert haben die Macht der MPS die Kabarettisten Max Uthoff und Claus von Wagner in einem Beitrag der ZDF-Sendung „Die Anstalt“ vom 07.11.2017, zu sehen hier. Die Einflussnahme und der Geist der MPS, so Maxton, sei ein Virus, das dem Gemeinwesen seit 70 Jahren die Luft zum Atmen nimmt.

Corona katapultiert die Theorie in die Wirklichkeit. 

A propos Virus: Die Ende 2019 gestartete Corona-Pandemie liefert dem Buch gespenstische Schützenhilfe: Derzeit ist durch Vorsorge- und Abwehrmaßnahmen genau das eingetreten, was Maxton fordert: Ein weitgehender Stillstand von Flugverkehr, Reisetätigkeit, industrieller Produktion, etc. Mit beachtenswerten Folgen: erstaunlich bereitwilliger Akzeptanz der Einschränkungen seitens der Bevölkerung, drastische Senkung der Emissionen, Anlaufen umfangreicher organisatorischer und finanzieller Hilfsmaßnahmen in den reichen Ländern. Aber auch Notstandsregelungen in ohnehin demokratie-kritischen Ländern (Ungarn, Israel, UK, USA, Brasilien), Massenflucht, und Elend in Schwellen- und Dritteweltländern. 

Meinungsrecht für jedermann bedeutet Zombie-Demokratie.

Um sich gegen die MPS zu immunisieren, empfiehlt Maxton, sich von den Verlockungen neoliberalen Verhaltens zu lösen. Der vom Neoliberalismus postulierte Individualismus pulverisiere die Gesellschaft und sorge für eine „Zombie-Demokratie“, in der wissenschaftliche Expertise untergehe, wenn daneben jede weitere auch noch so schlecht informierte Stimme gehört werden müsse. Die Gesellschaft werde dem Joch einer schlecht informierten Mehrheit unterworfen. Der Wert jener Personen, die in Zeitungen schreiben, in den Sozialen Medien posten, YouTube-Videos hochladen oder Fernsehshows moderieren, bemesse sich nicht daran, wie fundiert oder klug sie sind, sondern wie unverschämt und kontrovers sie sich geben. Wie wahr, rudeness sells!

Design oder Desaster. Nur Notstandsgesetze können den Rahmen für Veränderung liefern.

Darum müssten „wir“, und damit meint Maxton alle, die den Klimanotstand bekämpfen und die Kehrtwende vollziehen wollen, wieder die demokratische Kontrolle in die Hand nehmen und für ein ordentlich funktionierendes Staatswesen sorgen. Allerdings, und hier durchzieht das Buch ein Hauch von parfümierter Anarchie, sei ein radikaler Richtungswechsel auf demokratischer Basis unmöglich. Darum müsse „die Menschheit radikale globale Notstandsgesetze einführen. Hierfür gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder das aktuelle demokratische System zeitweilig außer Kraft zu setzen. Oder es rasch und radikal zu reformieren. 

Kollektives Handeln? Wo Individualismus herrscht, fast unmöglich.

Beide Wege seien mit erheblichen Risiken verbunden. Nichts zu tun wäre allerdings noch aussichtsloser. Entsprechende Notstandsregelungen und vor allem die darauf folgenden Maßnahmen und Einschnitte wären radikal: Arbeitsplatzverluste, Umstellung der Lebensweise – mehr nennt Maxton offenbar lieber nicht. Eine rasche und radikale Reformierung der Demokratie sei nur durch „kollektives Handeln“ erreichbar. Die Wahrscheinlichkeit hierfür sei „in den letzten Jahren“ gestiegen, hätte auch Chancen, nicht ignoriert zu werden, sei aber einen Versuch „allemal wert“. Überzeugend klingt anders. 

Wie umgehen wir die Wirklichkeit unseres Wesens?

Umso dringlicher werden die Fragen: Kommen wir um dramatische Veränderungen gar nicht mehr herum? Und wenn ja, wie verteilen wir entstehende Lasten so gerecht, dass alle, weltweit, möglichst wenig zu leiden haben? Wo ist die Grenze zwischen Einverständnis und Verführung? Zwischen Übereinkunft und Verrat? An der Unmöglichkeit, hier genaue Grenzen zu ziehen, scheitert das Buch. Scheitert jeder Versuch, Gegenzusteuern. Der Impuls, einfach Nein zu sagen, ist da. Aber die Wirklichkeit unseres Wesens verhindert, es zu tun. Vielleicht schafft es die Liebe.

Nützliche Links:

Oxford-Philosoph Toby Ord über Selbstzerstörung und Weisheit. – Text und Video.

Neuerscheinung zum New Green Deal inkl. Interview mit Ann Pettifor.

Aktuelle Empfehlungen des Ifo, München, zur Zeit nach der Corona-Krise.

Perspective Daily, das täglich erscheinende Format für konstruktiven Journalismus.

Die reden sich schon seit Jahrzehnten den Mund fusselig: Club of Rome.

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